Eggersdorfer Straße 27, 3300 Amstetten, A/BH: k.k. Staatsbahn-Direktion Wien, 1908.
Der Wasserturm diente zur Versorgung der Dampflokomotiven entlang der Westbahnstrecke. Der bis heute erhaltene Bau wurde 1908 errichtet. Das Relikt aus einstiger Zeit steht sinnbildlich für die Relevanz der Eisenbahn und den damit verbundenen Aufstieg Amstettens zur Stadt.
Bearbeitet von Benjamin Erhart, Christoph Hofmann, Moritz Koegel.
Lageplan.
Luftaufnahme, um 1930.
HISTORISCHER KONTEXT
Die im Südwesten Niederösterreichs gelegene Stadtgemeinde Amstetten wurde erstmals 1111 urkundlich erwähnt. Anfang des 19. Jahrhunderts stagnierte das damalige Dorf bei einer Einwohnerzahl von etwa 500. Erst ab dem Jahre 1858, mit der offiziellen Eröffnung der Kaiserin-Elisabeth- Bahn zwischen Wien und Linz, erlebte Amstetten einen drastischen Wandel. Der Ort war seitdem an eine der wichtigsten Bahntrassen der Monarchie angebunden, was für seine weitere Entwicklung große Bedeutung hatte. 1872 wurde weiters mit der Einbindung der Kronprinz- Rudolf-Bahn der Durchgangsbahnhof Amstetten zum Bahnknotenpunkt und seine Stellung als wichtiger Halt entlang der Kaiserin-Elisabeth-Bahn endgültig gefestigt. Durch die neue Infrastruktur wurden nicht nur bahnintern viele Arbeitsplätze geschaffen, auch zahlreiche Betriebe siedelten sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte in diesem Gebiet an, was innerhalb kurzer Zeit zu einem enormen Anstieg der Bevölkerung im Raum Amstetten führte. In Folge dessen kam es zur Eingemeindung umliegender Gebiete und schließlich erhielt Amstetten am 29.11.1897, vormals Markt, das Stadtrecht.
Um mit den rasanten Entwicklungen mithalten zu können, wurde das Bahnhofsareal am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert aus- und umgebaut. Hierbei wurden die Gleisanlagen vergrößert, das Bahnhofsgebäude erneuert, sowie eine großzügige Heizhausanlage errichtet. Bisweilen waren in Amstetten Pumpbrunnen ausreichend, welche bereits im Zuge des Bahnhofbaus 1858 errichtet wurden. Durch das gestiegene Verkehrsaufkommen war eine optimale Wasserversorgung nicht mehr gewährleistet. Somit entschied man sich für den Bau eines Wasserturms, welcher 1908 durch die k.k. Staatsbahndirektion Wien errichtet wurde, dessen Pläne aber bereits aus den Jahren 1903 bis 1905 stammen.
Das unmittelbar daneben verortete Heizhaus war 1909 fertiggestellt. Während seiner Nutzung wurden im Inneren des Wasserturms Anpassungen vorgenommen, um mit den steigenden Anforderungen Schritt halten zu können. Eine 1930 neu eingebaute Pumpe erhöhte die Tagesleistung von vormals 1000 m³ auf 1400 m³. Die starke Bombardierung Amstettens gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zerstörte weite Teile des Bahnhofareals, lediglich der Wasserturm blieb beinahe unbeschädigt.
Am 19.12.1952 nahm die Westbahn den elektrischen Betrieb auf. Mit dem Ausscheiden der Dampflokomotiven aus dem Regelbetrieb und dem letztendlich offiziellen Ende der Dampfära im Jahre 1976, verlor der Wasserturm endgültig seine angestammte Nutzung. Das Bauwerk wurde im Anschluss noch als Pumpstation betrieben, danach integrierte die ÖBB in den Turm für einige Zeit eine Funkstation. 1998 stufte das Bundesdenkmalamt den Wasserturm als schützenswert ein, sodass er seitdem unter Denkmalschutz steht. Als letztes weitgehend original erhaltenes Relikt ist der Wasserturm als identitätsstiftendes Bauwerk untrennbar mit der bewegten Stadtgeschichte verbunden, er dient als Bindeglied zwischen den Zeiten.
Bahnhofserweiterung und Errichtung des Wasserturms.
Vereinfachter schematischer Aufbau der hydraulischen Einrichtungen.
Grundriss Erdgeschoss, 1905.
Querschnitt Erdgeschoss, 1905.
Fassadenschnitt.
WASSERVERSORGUNG
Dem Lauf des Wassers folgend begann das Unterfangen mit einem Einlaufschacht beim nahegelegenen Mühlbach. Von dort gelangte das Wasser zunächst unterirdisch und durch den natürlichen Druck des Baches über eine Rohfilteranlage, welche angespülte Fremdkörper filterte, zu einer Klärzisterne mit zwei Kammern. Aus der Klärzisterne, welche ebenfalls unterirdisch und wenige Meter nördlich des Wasserturms verortet war, wurde das Wasser durch eine im Erdgeschoß des Wasserturms platzierte Pumpe über eine Steigleitung bis zu den beiden Behältern gepumpt. Die beiden Hochbehälter haben jeweils einen Durchmesser von 6,6 m, eine Höhe von 5,5 m und fassen je 150 m³. Die Wasserentnahme erfolgt durch Bodenablässe, welche im zweiten Obergeschoß horizontal verbunden werden und sich fortan eine gemeinsame Fallleitung teilen. Sie führt vertikal nach unten und mündete im weitverzweigten Rohrleitungsnetz des Bahnhofs. Hier fanden sich zahllose Verbraucher, darunter die Wasserkräne, welche für das Befüllen der Lokomotiven verwendet wurden.
AUFBAU DES GEBÄUDES
Die Grundrisse aller Geschoße beziehen sich auf die beiden Achsen der zwei Wassertanks, welche 7,3 m auseinander liegen. Diese bilden sowohl die Mittelpunkte der zylindrischen Innenräume als auch der im Erdgeschoß leicht überlappenden Achtecke, auf welchen die Form der Außenwände basiert. Sie sind miteinander zu zwei gegenüberliegenden, langen Seiten verbunden und ergeben so ein langgezogenes Achteck. Das tragende Ziegelmauerwerk, welches von außen einem Binderverband gleicht, verjüngt sich nach oben hin. Dezente, flächige Rücksprünge und schmale Mauerwerksfriese gliedern die hohen Wandflächen, deuten außen die Geschoßhöhen an und geben optisch den schlanken Fenstern Halt. Die Fenster selbst verfügen über Segmentbogenstürze und stark abfallende Parapetflächen, welche die tiefen Laibungen optisch nach unten zu den Mauerwerksfriesen des jeweiligen Geschoßes erweitern. Die Glasflächen bestehen aus sechseckigen, facettierten, leicht türkis schimmernden Glasbausteinen, welche eine frappierende Ähnlichkeit mit Falconnier Glasbausteinen aufweisen. Da die Fenster sonst nicht zu öffnen wären, verfügt pro Geschoß jedes zweite Fenster über eine ausstellbare Oberlichte aus Stahl, welche mit eingekittetem Fensterglas gefertigt ist.
Die Eckpunkte der beiden einzelnen Achtecke sind durch, wie die Mauer, schräg stehende, stark hervortretende Pilaster betont, welche mit ihren Kapitellen über die Mauerbank hinausragen und direkt an der Unterkante des leicht auskragenden Behältergehäuses enden. Zwischen der Mauerbank und der herausversetzten Unterkante des Behältergehäuses verläuft eine horizontale Bretterschalung schräg nach außen und wird durch heraustretende Balkenköpfe gegliedert. Das Behältergehäuse selbst besitzt schlanke, fast schlitzartige Fenster. Diese durchstoßen in Paaren die vertikale Holzschalung, welche ähnlich zum Mauerwerk horizontal, in diesem Fall durch hölzerne Leisten gegliedert ist. Obenauf sitzt ein allseitig abgewalmtes Dach mit einem Überstand von einem Meter. Anstelle eines Firstes ist hier eine Laterne aufgebaut, welche mit größeren Fensterflächen von oben Licht in den Innenraum lässt und zur Belüftung dient. Auch die Laterne trägt ein Walmdach.
Diese architektonischen Merkmale verleihen dem Wasserturm sein charakteristisches Äußeres. Von weithin gut erkennbar wirkt sein Ausdruck imposant, sein fast wehrhaft anmutendes Antlitz verleiht ihm eine Dominanz, mit der er tonangebend auf das Umfeld wirkt.
1 Fundament
Der Wasserturm ruht auf einem stellenweise bis zu 4,5 m starken, nach oben hin abgetreppten Stahlbetonfundament. Eine hervorstehende Sockelzone, welche aus Beton gegossen ist und zum Fundament gezählt werden kann, umgibt den gesamten Turm und ist nur im Eingangsbereich unterbrochen.
2 Platzldecken
Vertikal wird das innere Volumen durch zwei Platzldecken in ein Erdgeschoß und zwei Obergeschoße bei einer Geschoßhöhe von je 4,5 m geteilt. Das Innere des gemauerten Abschnitts besteht im Wesentlichen aus zwei zylindrischen Innenräumen, welche denselben Mittelpunkt wie die Achtecke aufweisen und somit ebenfalls der zugrunde liegenden Geometrie folgen. An den beiden Längsseiten befinden sich in allen Geschoßen zusätzliche Räume, welche Richtung Eingang orientiert zur Verbindung der beiden Zylinder dienen und Richtung Norden einen sechseckigen Schacht bilden. Dieser nimmt die beiden Kamine und die erforderlichen Rohrleitungen für die Hochbehälter auf und ist ausschließlich im Erdgeschoß zugänglich. Über zwei Stufen und den südseitig mittig verorteten Eingang, welcher mit einem kleinen Vordach in Form eines Satteldaches vor Nässe geschützt ist, gelangt man ins Innere des Gebäudes. Als Erschließung führt im östlichen Zylinder pro Geschoß eine gegenläufige Podesttreppe nach oben. Zwischen zweitem Obergeschoß und Behältergehäuse befindet sich keine Decke, was den Wassertanks ausreichend Platz bietet.
3 Behältergehäuse
Das Behältergehäuse ist nach außen durch eine beidseitig beplankte Holzkonstruktion umgrenzt. Dorthin gelangt man über eine steile Stahlleiter auf die beiden hölzernen Zwischenböden des Behältergehäuses, genannt Gallerieböden und schließlich über ein Podest zum Bedienen der zahl- reichen Ventile auf Höhe der Behälteroberkante hinauf in die Laterne.
4 Stahlkonstruktion
Jeder der beiden Hochbehälter wird mittels acht aus der Mauerbank ragenden Halterungen zentrisch über den zylindrisch geformten Innen- räumen gehalten. Auf jener Mauerbank lasten ebenfalls die außen sichtbare Wandkonstruktion des Behältergehäuses, sowie eine von außen beinahe zur Gänze verborgene Stahlunterkonstruktion. Diese besteht aus vertikalen U-Profilen sowie Fachwerkträgern, welche aus mit Knotenblechen vernieteten, schlanken L-Profilen aufgebaut sind. Die Konstruktion hat keinerlei Verbindungen zu den Behältern, trägt aber sowohl die beiden Zwischenböden innerhalb des Behältergehäuses, als auch das Dach und die Laterne. Zusätzlich wird die hölzerne Außenwand des Behältergehäuses von ihr nach innen fixiert. Ebenfalls stählerne Auskreuzungen sowohl in Wand-, als auch Dachebene steifen den Stahlbau aus.
5 Dachsparren
Die von außen sichtbaren Dachsparren tragen nur den Dachüberstand. Weiter innen lastet das Dach auf mehreren umlaufenden Pfetten, welche direkt auf der Stahlkonstruktion liegen.
6 Laterne
Auch die Laterne wird von unten durch zwei hochgezogene Fachwerk- träger gestützt. Ihr Walmdach besteht aus dicht gereihten Sparrenpaaren, ohne Firstpfette, dafür mit zwei Bundträmen zwischen den umlaufenden Fußpfetten. Die beiden Bundträme sind wieder an der Stahlkonstruktion befestigt und zusätzlich in horizontaler Ebene zur Fußpfette durch diagonal platzierte Balken ausgesteift.
Die unteren gemauerten Räumlichkeiten sind durch ihren meist runden Grundriss, die hellen, weiß gekalkten Wände und großen Raumhöhen klar ablesbar. Auf den dunklen Gallerieböden innerhalb des Behältergehäuses bleibt zwischen den Kesselwänden, vertikalen Stahlstützen, Auskreuzungen und Steigleitungen kaum Platz. Erst auf der Bedienplattform und mit freiem Blick über die Behälter hinweg kann der Raum und seine Konstruktion im Schein des Tageslichts, welches durch die Laterne einfällt, als Ganzes wahrgenommen werden.
7 Technik
Außen ist der Bestand weitgehend original erhalten, genaue Zeitangaben zu den nachfolgend genannten Veränderungen können nicht getroffen werden. Die Antenne der Funkstation wurde sichtlich demontiert, das Dach des Behältergehäuses und der Laterne neu gedeckt. Statt der originalen Asbestschieferplatten verwendete man Blech. An den beiden Kurzseiten des Behältergehäuses wurde die originale Bretterschalung durch zusätzliche Anbringung von kleinteiligen, hellgrauen Schindeln vor weiterer Witterung geschützt. Im Bereich der hölzernen Laterne wurden teilweise die schräg angeordneten Holzlamellen außen verbrettert. Im Laternendach wurde nordseitig eine blecherne Dachluke eingeschnitten.
Zahlreiche Fenster weisen starke Beschädigungen auf, einige wurden durch neuere ersetzt, andere notdürftig repariert. Im Inneren wurden aus den beiden Erdgeschoßräumen sämtliche hydraulische Einrichtungen entfernt. Lediglich die Sockel der Pumpen und zahlreiche Wanddurchführungen, ein Stromkasten, sowie die Steig- und Fallrohre erinnern noch an die einstige Nutzung dieser Räumlichkeiten. Im ersten Obergeschoß wurde partiell eine moderne Rasterdecke einge- zogen, um den Raum kurzfristig als Lager nutzen zu können. Im zweiten Obergeschoß, sowie in den beiden Gallerieböden, und der Laterne ist sowohl der Innenraum, als auch die Technik hingegen auch heute noch weitestgehend original erhalten – wenn auch durch den langen Stillstand in teils schlechtem Zustand.
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BILDNACHWEISE
Historische Pläne und Aufnahmen: Stadtarchiv Amstetten.
Plandarstellungen und Diagramme erstellt von Christoph Paul Hofmann.