BEZIRKSGERICHT

Preinsbacher Straße 13, 3300 Amstetten, A: Johann Stummer von Traunfels, BH: Gemeinde. Amstetten, 1910–1913, Umbauten 1994–2001.

Das historisierende Gebäude mit Jugendstilelementen gibt durch die große, dekorativ gegliederte Fassade der Burgfriedstraße einen wirkungsvollen Abschluss. Durch mehrere Umbauten seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfuhr das ehemals U-förmige Bauwerk wiederholt Veränderungen. Neben Um-und Zubauten in den Jahren 1958 sowie 1994-2001 stellt der Abbruch des westlichen Arresttrakts im Jahr 1994 die maßgebliche Veränderung des Gebäudes dar.

Bearbeitet von Eunice Gomes Alexandre, Sarah Bochis, Sidorela Lulaj.

DAS BEZIRKSGERICHT AMSTETTEN UND SEINE BAULICHE VERÄNDERUNG SEIT DER ENTSTEHUNGSZEIT

GESCHICHTE

Der französische Rechts- und Staatsphilosoph Montesquieu hatte 1748 zur Vermeidung von Willkür die „Gewaltenteilung” gefordert: Er wollte erreichen, dass Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung voneinander unabhängig sind. 1849, ein Jahr nach der Märzrevolution, bekam Österreich eine konstitutionelle Verfassung, welche eine Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung zur Folge hatte. 1850 wurde somit auch in Amstetten ein „k.k. Bezirksgericht“ eingerichtet. Bereits 1852 übernahmen jedoch „gemischte Bezirksämter” als neue Verwaltungsbehörden die Gerichtsbarkeit, weshalb das Bezirksgericht aufgelöst wurde. Im Jahr1868 kam es endgültig zur Gewaltentrennung und Amstetten erhielt sein Bezirksgericht nach Montesquieus Konzept. Zuvor war das Bezirksgericht Amstetten am Hauptplatz situiert. Das neue Gerichtsgebäude in der Preinsbacher Straße 13 wurde zwischen 1910 und 1913 unter architektonischer Leitung von Baurat Oberingenieur Stummer von Traunfels errichtet. Inspizient des ganzen Baus war Baumeister Steiner. Neben dem Bezirksgericht übersiedelten1913 auch die Finanzwache, das Steueramt, das Vermessungsamt und das Gefängnis in das neu errichtete Gebäude.

Durch die Zäsur der beiden Weltkriege kam es, auch infolge des Personalmangels, wiederholt zu strukturellen Änderungen in den Zuständigkeiten des Bezirksgerichts. Das Gebäude selbst blieb jedoch während beider Kriege von größeren Schäden verschont und der Betrieb konnte ununterbrochen aufrecht erhalten werden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bezog 1946 die Stadtkommandatur der Russischen Besatzungsmacht das Gerichtsgebäude. Als Notunterkunft erhielt das Bezirksgericht drei Räume in der naheliegenden Volksschule, wo beispielsweise die Grundbücher im Turnsaal aufbewahrt wurden. 1948 übersiedelte das Bezirksgericht in das Haus der Gewerbebank, wo wiederum Platzmangel herrschte, sodass viele der Grundbücher ins Bezirksgericht Ybbs verlagert werden mussten. Nach Ende der Besatzung 1955 konnte das Bezirksgericht vorerst symbolisch und nach Instandsetzungsmaßnahmen 1959 schließlich auch physisch wieder in das Gebäude an der Preinsbacher Straße zurückkehren. 

Burgfriedstraße, um 1930.

Preinsbacherstraße,1961.

Arresttrakt vor Abriss, 1944.

Baubeschreibung

Das Bezirksgericht liegt auf der Achse der Burgfriedstraße, wodurch es eine repräsentative Fernwirkung hat. Der Bau gliederte sich in drei Trakte, welche U-förmig angelegt sind: Der westliche Arresttrakt für das Gefängnis, der südliche Haupttrakt, im welchem das Amt situiert war, und der Osttrakt, in welchem das Grundbuch untergebracht war. Funktional war der Westtrakt klar dem Gefängnis zugeordnet, während Süd- und Ostteil gemeinsam von den Amtsräumlichkeiten bespielt wurden. Der Amtsstrakt besteht heute noch in seiner ursprünglichen Form, der Arresttrakt hingegen wurde abgebrochen. 

HAUPTTRAKT

Der Südtrakt des Gebäudes erstreckt sich mit seiner repräsentativen Haupfassade entlang der Preinsbacher Straße. Der Haupteingang befindet sich im Mittelteil dieser Fassade und wird von vier zweigeschoßigen Pilastern, die einen Balkon tragen und im Dachbereich von einer geschwungen Attikaüberhöhung mit Adleremblem markiert. Im Erdgeschoß befanden sich im Haupt- sowie im Osttrakt die Räumlichkeiten des Finanzamts sowie eine Wohnung für den Gerichtsvollstrecker. An der Nordseite führt ein Erschließungs- und Sanitärkern als aus dem Haupttrakt hervorspringender Annex in die Obergeschoße. Das Bezirksgericht ist im ersten Obergeschoß des Haupt- und Osttrakts untergebracht und teilt sich auf drei Richterzimmer, zwei Kanzleiabteilungen, einen Verhandlungssaal mit Warteraum und Räume für Grundbuch und Registraturen auf. Der im Barock-Biedermeier-Stil ausgestattete Verhandlungssaal galt als „Schmuckstück“ des Gebäudes. Das zweite Obergeschoss erstreckt sich lediglich über den Haupttrakt und beinhaltete zwei Wohnungen für die Gerichtsvorstände. Den Gerichtsvorständen sowie dem Finanzkasseleiter war zudem ein Garten hinter dem Arresttrakt zugewiesen.

ARRESTTRAKT

Der Arresttrakt bestand aus einem Erdgeschoss und einem ersten Obergeschoss, die mit einem Mansardendach aus Holzzement gedeckt waren. Der Trakt hatte 16 Einzelzellen, eine Krankenzelle, eine Kumulativzelle für vier Mann, eine Kumulavtivzelle für sechs Mann und eine Aufnahmekanzlei. Es wurden zwei Spazierhöfe im Erdgeschoss für Frauen und Männer angelegt. Die Anordnung der Trakte zueinander ergab sich aus logistischen Gesichtspunkten; der Arresttrakt lag beispielsweise so, dass die Gefangenen von den Zellen direkt in den Warteraum des Verhandlungssaals bzw. weiter in die Gerichtsabteilung im ersten Stock gebracht werden konnten.

Hauptfassade, 2020.

Aufzugsanlage, 2020.

Detail der Hauptfassade.

Bauliche Veränderungen

1958 wurden im Zuge der baulichen Wiederherstellung nach der Nutzung durch die Besatzungsmacht kleinere bauliche Veränderungen vorgenommen. Im Erdgeschoß wurde etwa der Erschließungskern an der Nordseite baulich an den Osttrakt angeschlossen und somit ein neuer Warteraum geschaffen. 1994 begann man mit der Generalsanierung des Bezirksgerichts, welche eine Vielzahl von Maßnahmen vorsah. Der größte Eingriff hierbei war der Abbruch des Gefängnisses, welcher 1995 genehmigt wurde. Der gesamte Westtrakt des Gerichtsgebäudes wurde abgetragen und die freigewordene Fläche für Parkplätze herangezogen und begrünt. Die Fassade wurde im Bereich des Abbruchs verputzt und farblich dem Hauptgebäude angepasst. Zwischen 1997 und 1998 fanden weitere bauliche Eingriffe statt, welche die umfassende Erneuerung bzw. Sanierung der bestehenden Büroräumlichkeiten, die Schaffung von Sanitäranlagen in ausreichender Anzahl und Größe, die Umgestaltung der Außenanlagen sowie Umbauten betreffend Barrierefreiheit zum Ziel hatten. Ein 175m2 großer Zubau am nördlichen Ende des Osttrakts sowie eine Adaptierung der Innenräume sollten die räumliche Organisation des Gebäudes optimieren. Im Jahr 2000 wurde das Bezirksgericht durch den Einbau einer Aufzugsanlage sowie eines Treppenliftes ein weiteres Mal baulich adaptiert. Der ursprünglich U-förmige Baukörper bildet nach Abbruch des Westrakts heute ein L-förmiges Volumen. Die charakteristische Hauptfassade an der Preinsbacher Straße ist hingegen weitgehend unverändert erhalten und zeugt von der ursprünglichen architektonischen Erscheinung des Bezirksgerichts. Seit 2014 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.

QUELLEN

WINGE, Franz, Das Bezirksgericht Amstetten, Heimatkundliche Beilage zum Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Amstetten, 11. Jahrgang, Nr. 119, 1982.

AMSTETTNER WOCHENBLATT, Das neue Amtsgebäude in Amstetten, 11. Jahrgang, Nr. 46, 1913. 

PLANMATERIAL, zu Verfügung gestellt von Herrn Franz Nenning, Bezirksgericht Amstetten.

BILDNACHWEISE

Architekturzentrum Wien, Nachlass Friedrich Achleitner, Objektkartei/Sammlung Niederösterreich.

Historische Aufnahmen aus der Sammlung des Stadtarchivs Amstetten.

Planmaterial aus dem Archiv des Bezirksgerichts Amstetten.

Aktuelle Aufnahmen von Eunice Gomes, 2020.